Ganz präzise Sonnenblumen

Wolf Jahn, 1997

„Berliner Morgenpost", 19 August 1997

In Deutschland war sein Name bislang nur Insidern bekannt. Doch seit Zvi Hecker 1995 die Heinz-Galinski- Schule in Berlin fertig stellte, erfreut sich der experimentierfreudige israelische Architekt eines wachsenden Bekanntheitsgrades. Dafür sorgen nicht allein seine spektakulären Vorschläge, etwa seine ,,Berliner Berge" – gigantische Wohnhäuser in Felsformation -, sondern auch eine verstärkte mediale Präsenz. Nach einem Buch über Hecker folgt nun eine Werkschau. Von morgen an zeigt das Hamburger Kunsthaus einen Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre seines Schaffens. Das Zentrum der Werkschau markiert die Heinz-Galinski-Schule. Etliche Modelle vollziehen den langen Entwurfprozess der jüdischen Grundschule nach, der schließlich in dem endete, was Hecker als ,,die präzise mathematische Kreation einer wilden Blume" bezeichnet. Gemeint ist der spiralförmige Blütenaufbau der Sonnenblume, der der ,,wilden" Architektur ihren Grundriss lieh. ,,Sie steht", kommentiert Hecker, ,,für die Überwindung von Schwerkraft und einer festen Orientierung.

" Orientierungslos sieht sich auch der Betrachter] der die Architektur Heckers in gängige Begriffe fassen möchte. Kein Dekonstruktivist, kein Postmoderner, aber dennoch einer, der immer wieder auf symbolträchtigen Grundrissen aufbaut. Sein neuestes Projekt, das seit Juni im Bau befindliche, Jüdische Gemeindezentrum" in Duisburg, erhellt diese Vorgehensweise beispielhaft.

Hier liefert die Sicht auf ein aufgeblättertes Buch den Grundriss. Seine fünf aufgefächerten Seiten symbolisieren den Weg der jüdischen Gemeinde. Er beginnt mit ihrer Ankunft im 12 Jahrhundert und endet vorläufig im Neubau der Synagoge als integralem Bestandteil des Gemeindezentrums. „Zvi Hecker. Architektur ist Landschaft" ist eine von mehr als 60 Veranstaltungen des diesjährigen, zweiten Hamburger Architektur Sommers. Als er 1994 zum erstenmal unter Leitung der Hamburger Architektenkammer ausgerichtet wurde, galt es, historische und aktuelle, hanseatische und internationale Baukultur in einem breiten Spektrum zur Diskussion zu stellen.

Zahlreiche Institutionen, unter ihnen Museen, Universität und Galerien, nahmen am Architektur Sommer teil.

Mittlerweile hat sich die, Initiative Hamburger Architektur Sommer e.V." konstituiert - selbst versteht man sich als ,,bau-kulturelle" Bürgerinitiative. Der ,,Sommer" ist nun länger und umfangreicher als beim ersten Mal. Mit auf dem Programm stehen unter anderem der Kongress ,,Privatisierung der Stadt" im Oktober, eine Schau der Fachhochschule mit Wohnungsarchitektur Giuseppe Terragnis ab 18. September und Ende Oktober eine Tagung zum Thema ,,Das Große oder die Aktivität des Monumentalen" in der Freien Akademie der Künste. Auch Zvi Hecker wird dort als Teilnehmer erwartet. Zu den ehrgeizigsten Projekten zählt zweifellos ,,Bauen nach der Natur - Die Erben Palladios in Nordeuropa" im Museum für Hamburgische- Geschichte. Mehr als 400 Exponate darunter Grafiken, Modelle, antiker Bauschmuck – gehen dem enormen Einfluss nach, den der Italiener Andrea Palladio (1508- 580J mit seiner Wiederbelebung antiker Architektur ausübte. Bis nach Skandinavien und Polen hin hinein dominierte das palladianische Bauideal, wurde gelehrt und zum unangefochtenen Maßstab gesetzt. Die Ausstellung konzentriert sich dabei vorrangig auf historische Zeugnisse: Originalzeichnungen Palladios oder einem imposanten Modell des Tempels des Salomon aus dem 17. Jahrhundert, die architektonische Manifestation eines geistlich bestimmten Staatsideals.

Das Innenleben des in zwölfjähriger Arbeit entstandenen Modells erkundet darüber hinaus ein Video, wie auch an anderer Stelle Videoinformationen punktuell die Ausstellung begleiten. Zu empfehlen sind dennoch die öffentlichen Führungen, die einen sicheren Pfad durch den Dschungel der Dokumente und Schaustücke weisen. Wohnkultur weniger als konkretisierte Innenarchitektur, vielmehr als Ausdruck gesellschaftlicher Seelenlagen verstanden, präsentiert „Home Sweet Home" in den Deichtorhallen. Über zwanzig Künstler, vom Pop-Veteranen Roy Lichtenstein bis zum Newcomer Richard Billingham, leisten ihre Beiträge zu Heim, Möbel und Design. Amüsantes, so der in Sprungschanzenform konzipierte Stuhl ,,Modell Holmenkol" von Martin Kippenberger, wechselt ab mit kritischer Analyse. Sam Taylor-Wood inszenierte großbürgerliche

Interieurs, deren Bewohner in nahezu perfekter Emotionslosigkeit verharren. Das Ergebnis ihrer Inszenierungen hängt jetzt in Form von 360-Grad-Panoramafotos aus. Zusammen fügen sie sich zu einem raumumgreifenden Fries, der von einem jungen, aber in all seinen individuellen Freiheiten erstarrten Bildungsbürgertum erzählt.

Im Architektur Sommer schafft „Home Sweet Home" damit ein wichtiges Pendant zur gängigen Architekturdiskussion.

Mit künstlerischen Mitteln wird hier die Architektur der Seele und Psyche erforscht.

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