Zwei Ähren und ein Schwert

Wolfgang Pehnt, 2000

TEL AVlV, Ende Dezember Ehemalige Militärposten bieten nicht die schlechtesten Standorte. Sie liegen auf beherrschenden Anhöhen und gewähren weite Sicht. Manchmal haben sich Baumgruppen angesiedelt, die den Soldatenbiwaks Schatten spendeten. In Israel waren viele Grundstücke, über die heute der Militärfiskus verfügt, in der Mandatszeit mit britischen Garnisonen belegt, und davor hatte dort die osmanische Soldateska kampiert.

Das Gelände des neuen Palmach-Museums in Ramat Aviv, am nördlichen Stadtrand Tel Avivs, wurde von einem noch heute genutzten Barackenareal abgeteilt und genießt alle Vorzüge der strategischen Lage. Das Auge reicht weit bis zum Meer, ein Vorteil, der, wenn hier Wohnbauten stünden, Preise und Mieten verdoppeln würde. Aber private Nutzungen sind auf diesem Vorzugsterrain nicht vorgesehen. Unterhalb liegt das Eretz Israel Museum, in dessen Nähe die Archäologen eine Philistersiedlung aus dem zweiten und ersten Jahrtausend vor Christus ergraben haben. Bergwärts demonstrieren die von nordamerikanischen Stiftern finanzierten Universitätsinstitute die westliche Verbundenheit der Wissenschaftswelt. Auf halber Höhe dazwischen ist mit dem patriotischen Museum ein neues Glied in der dicht gereihten Kette israelischer Erinnerungsstätten hinzugekommen.

Die Palmach-Bewegung war eine 1941 gegründete jüdische Untergrundorganisation, die mit Sabotageakten und Überfällen die restriktive Einwanderungspolitik der britischen Mandatsregierung bekämpfte. In Südosteuropa half sie den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und die Flucht jüdischer Bewohner zu organisieren, im Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 zog sie gegen die arabischen Anrainerstaaten zu Felde. Seit der Staatsgründung ging Palmach in der Armee auf, in deren Führungsstab manche ihrer Kämpfer aufstiegen. Moshe Dajan und Jitzhak Rabin waren Palmach-Mitglieder. Zwei Ähren und ein Schwert dienten als Symbol der Organisation. Das Zeichen überragt auch den Museumsbau, der durch Stiftungen, Mitgliederbeiträge und Zuschüsse der Regierung finanziert wurde. Seit 1992 in Planung und Bau, ist er bis heute noch nicht ganz fertiggestellt.

Zvi Hecker, der in Deutschland die Heinz-Galinski-Schule im Berliner Grunewald und das Jüdische Gemeindezentrum in Duisburg gebaut hat, und sein junger Büropartner Rafi Segal haben die Situation am Hang verdichtet und dramatisiert. Das Gebäude ist ein gebauter Berg. Ihn bilden Stützmauern, Rampen, Terrassen und schließlich eine felsartige Betonkrone, die einen Theatersaal für vierhundert Personen aufnehmen soll, aber noch nicht ausgebaut ist.

Man steigt eine Art Prozessionsweg empor, kann auf halber Strecke· sich seitwärts dem Museumseingang· zuwenden oder der Rampe weiter folgen. Nach einer Spitzkehre, die einen hinreißenden Blick über Tel Aviv gewährt, wird der Besucher auf einen höher gelegenen Platz geleitet. Kiefern und Eukalyptusbäume, in einer unregelmäßigen Doppelreihe gepflanzt, haben alle Bauarbeiten überstanden und bilden die grüne, stille Mitte des Anwesens. Von hier aus zeigen sich ·die Bauteile als gesellige Gruppe, die sich um den Platz arrangiert.

Viel strenger als der realisierte Bau wirkt seine Grundrißfigur. Sie resultiert aus drei langgestreckten Riegeln, von denen zwei parallel geführt sind und einer den hinteren diagonal durchkreuzt. Ihre divergierenden Achsen beziehen sich auf die Nachbarschaft. Der eine Gebäudekeil läuft mit der vorhandenen rückwärtigen Bebauung gleich, die beiden anderen halten sich parallel zur Straße. In früheren und gleichzeitigen Projekten ging Zvi Hecker von komplizierten Geometrien aus, vorzugsweise von einem Spiralen- und Tangenten-System, das sich an der Geometrie der Sonnenblume orientierte. Hier dagegen ließ er sich von keinem vorgeprägten Schema leiten. Maß und Regel benutzte er nachträglich zur Proportionierung der schon gefundenen Form.

Der Grundriss lässt an die konfliktreichen Überschneidungen und Durchkreuzungen der Dekonstruktivisten denken. Aber die Präzision operativer Schnitte ist Heckers Sache nicht. Wo er die Flügel aufbricht, um Aussichtsfenster, Brücken oder Auskragungen zu gewinnen, entsteht eher der Anschein ruinösen Zerfalls als der kühl berechnete Effekt messerscharfe Eingriffe. Dazu trägt die Madao Ando erreicht; sondern trägt alle Spuren rauer Unvollkommenheit. Außer grauem Beton und weißen Putzflächen gibt es nur noch ein drittes, außerordentlich prägendes Material. Die Architekten gewannen es aus der eigenen Baugrube: bräunlicher, bröckeliger Kalkstein, der in schmalen Lagen in den nassen Mörtel gepresst wurde. So wirkt der Bau nicht nur roh und ruppig, sondern auch selbstverständlich, geschichtet wie ein Steinbruch, ein Teil der Erde, aus der er entstand.

Der Gang durchs Museum kommt einem Abstieg in die Bergestiefe gleich. In den oberen Stockwerken, soweit sie bisher in Gebrauch genommen wurden, haben sich Verwaltung, Archiv, Seminare und Bibliothek eingerichtet. Besuchergruppen dagegen werden gegenläufige, schwarze Rampen hinuntergeführt, vorbei an den eingravierten Namen von 1135 Gefallenen: die Untergrundbewegung im Untergrund. Unten auf der Gebäudesohle setzt ein unterirdischer Rundgang ein, für den nicht die Architekten, sondern britische Szenographen verantwortlich sind. Was Scenic Route Ltd. mitmultimedialer Routine inszenierte, ist eine Attacke auf die Empfindungsfähigkeit der Zuschauer und scheut keine Kitscheffekte.

Die Straßenszene im Vorkriegs-Tel Aviv, die wie bei Disney knapp unter natürlicher Größe nachgebaut wurde, die Widerstandsnester in Eukalyptuswald und Negev-Wüste, das KZ-Lager und das Schiffsdeck illegal einreisender Immigranten, der UN-Saal, in dem 1947 die Vereinten Nationen den Staat Israel absegneten, werden mit allen Illusionstricks veranschaulicht. Unter akustischem Bombardement und raffinierter Lichtregie rotieren bewegliche Rundhorizonte mit Gipsfiguren und realen Requisiten. Auf transparenten Projektionsflächen überlagern sich dokumentarische Aufnahmen mit einem eigens aufgenommenen filmischen Heldenepos. Der scheinbar längst erledigte Bautypus des Panoramas feiert Auferstehung. Aber wenn das Panorama des neunzehnten Jahrhunderts Überblick über Schlachten und Stadtbrände von souveränen Aussichtspunkten verhieß, so wird hier der Betrachter in die Rolle des Mithandelnden genötigt, der die Stationen der Israelischen Staatswerdung in einem anderthalbstündigen Parcours durchwandern muss.

Das Schicksal des jüdischen Staates und seiner Bewohner ist auch auf den Bühnen des Landes ein Hauptthema. In Tel Aviv läuft seit vier Jahren im Cameri Theater ein gleichfalls multimediales Schauspiel, "Die Rebellen" von Edna Mazya. Das Lebensgefühl von damals und der Alltag von heute, der permanentes Heroenturn nicht erträgt, kontrastieren in diesem witzigen Zeitgemälde. Seine grotesken Pointen und der Überdruß der Jungen an den Shoa-Erinnerungen der Älteren, den das Stück darzustellen wagt, wären in den Höhlen des Palmach Museums undenkbar - ebenso wie der Gedanke an die Leiden der palästinensischen Araber, die von den zionistischen Einwanderungswellen überrollt wurden. Ältere Teilnehmer der musealen Expedition singen alte Kampflieder ergriffen mit und wischen sich das Nass aus den Augen.

Von dem ermordeten Premierminister und Palmach-Kämpfer Rabin stammt die Aufforderung, nach dem Kampf um die Unabhängigkeit die Auseinandersetzung um den Frieden zu führen und die Palmach-Vergangenheit als eine Schule von Tugenden zu betrachten: der Liebe zum Land, der Kameradschaft, der Disziplin, der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, des professionellen Könnens und der Bescheidenheit. Heckers Bauwerk kann die meisten dieser Tugenden repräsentieren. Der Hof oben unter den Bäumen, halb Natur- und halb Stadtraum, mit dem Blick weit über das Land, wirkt wie eine Oase des Friedens, ein Versprechen auf terrorfreies Miteinander. Doch in den Rabitzgewölben des Untergeschosses rumort die unbeschwichtigte Vergangenheit.

Pehnt, Wolfgang, „Zwei Ähren und ein Schwert „, in: Frankfurter Allgemein Zeitung, Freitag, 29. Dezember 2000, Nr. 302, Seite 43.

Download PDF